Charaktere: 9 | 3w, 6m
Besetzung: 9 Darsteller | Variationen und Doppelbesetzungen möglich
Spieldauer: 75
Spielalter: Erwachsene, Jugendliche, Kinder
Publikum: Ab 10
Szenen/Akt: 11
Bilder: 4
Tarif: 4
Mindestgebühr/Auff.: 60,00 EUR
Das goldene Tor
Nathan, ein reicher Geschäftsmann kehrt nach Hause zurück. Dort empfängt ihn seine Haushälterin Daja mit der Nachricht, dass seine Tochter beim Brand der Stadt-Bibliothek fast ums Leben gekommen wäre, jedoch von einem jungen Mann gerettet worden sei. Zuvor hatte er Niko, einen Mönch, Bewährungshelfer und sein Freund unterwegs getroffen, der ihm berichtet, dass der Retter seiner Tochter sein Schützling sei, ein Häftling, der von der Richterin Leyla Nasser begnadigt und deshalb vorzeitig entlassen wurde.
Zur gleichen Zeit wütet in der Stadt ein Krieg zwischen zwei fanatischen Gruppen: den christlichen Nachtkreuzen und den muslimischen Lichtkriegern! Nathan erhält deshalb Besuch von Hussein, einem weiteren Freund, der der Assistent der als streng und kalt verschrienen Leyla Nasser ist, die wiederum mit dem Fall dieser Clans betraut wurde.
Da Hussein Nathan als friedliebenden, vorurteilsfreien Menschen kennt, hatte er Leyla vorgeschlagen, Nathan in diesen Fall als Mediator einzuschalten. Nathan ist zunächst nicht begeistert, da Leyla große Vorurteile gegen Juden wie ihn hat. Zugleich sind auch die beiden fanatischen Clans sehr antisemitisch eingestellt.
Niko hat in der Zwischenzeit ein anderes Problem: Er ist als Mönch dem Bischof von Jerusalem unterstellt, der ein blutig ehrgeiziger und eitler Mensch ist und insgeheim dieselben fanatischen Ansichten wie die Nachtkreuze pflegt. Der Bischof stellt sich hier als Gegenspieler von Leyla Nasser vor. Beide pflegen ihre Vorurteile gegenüber dem Anderen und sind nicht gewillt, aufeinander zuzugehen. Der Bischof will jedoch wissen, was Leyla in dieser Sache vorhat und befiehlt
Niko, seinen Schützling Manuel als Spion bei Leyla einzusetzen, droht ihm, andernfalls dafür zu sorgen, dass Manuels Begnadigung zurückgenommen wird. Niko gibt dies an Manuel weiter, doch dieser weigert sich, da er das Gefühl hat, Leyla für ihre Begnadigung etwas schuldig zu sein.
Leyla hat einen Bruder, Leon, dem sie zuhause berichtet, wieso sie Manuel begnadigt hat: Er erinnert sie an ihre Schwester Samra, die gegen den Willen ihres Vaters einen Christen geheiratet hatte und nach Deutschland auswanderte. Der Vater sagte sich darauf von Samra los. Da Leyla und Leon zu dieser Zeit noch Kinder waren und nichts dagegen tun konnten, sahen sie Samra nie wieder und wissen nichts über ihr Leben. Nun sind beide entschlossen, herauszufinden, wer Manuel wirklich ist und was aus seiner Mutter wurde. Sie möchten ihn dazu überreden, einen DNA-Test machen zu lassen. Manuel selbst kann auch beim Gespräch mit Leyla keinerlei Angaben machen. Er ist bei Adoptiveltern aufgewachsen und weiß nichts mehr über seine Eltern, da er damals noch zu klein war.
Nathan hat inzwischen Manuel aufgesucht, um sich zu bedanken. Dieser wehrt ihn zunächst unwillig ab, da er als muslimisch auf- gewachsener Mann zu einer antisemitischen Haltung erzogen wurde. Doch im Laufe des Gespräches merken beide, dass sie der dogmatischen Auslegungen aller drei Religionen müde sind und die Kämpfe darum, wer die wahre Religion ausübt, als sinnlos empfinden. Nathan kann die Vorurteile Manuels abbauen und Manuel erkennt, dass Nathan ein wahrhaftig guter
Mensch ist, der vor allem in Frieden mit Anderen leben möchte.
Sie freunden sich an und Manuel ist einverstanden, Recha zu treffen, die sich auch bei ihm bedanken will. Als Manuel und Recha sich treffen, verlieben sie sich, wollen sich dies aber zunächst nicht eingestehen. Daja jedoch, die dabei ist, sieht, was geschieht und würde es beiden gönnen, das große Glück miteinander zu finden, da sie weiß, was für ein schweres Schicksal beide zu ertragen hatten: Die Herkunft beider liegt im Dunkeln und sie wissen nicht, wer ihre Eltern sind.
Nathan trifft sich nun mit Leyla und Leon, um die Lage der beiden fanatischen Clans zu besprechen. Leyla hatte sich von ihrem Bruder überreden lassen, Nathan als Mediator hinzuzubitten. Doch sie kann zunächst ihre Vorurteile gegenüber Nathan nicht abbauen und Leon schlägt ihr vor, ihn zu prüfen, indem sie ihm kritische und kluge Fragen stellt, die ihn als eben nicht vorurteilsfreien Menschen bloßstellen können.
So fragt sie Nathan, welche Religion er denn als die wahre anerkennt. Nathan antwortet mit der Ringparabel: Ein Mann, der einen kostbaren Ring besitzt, hat drei Söhne, die ihm alle gleich lieb und teuer sind. Bevor er stirbt, möchte er ihnen diesen Ring vererben. Deshalb lässt er ihn aufs Haar genau kopieren, so dass es 3 Ringe gibt, die nicht voneinander zu unterscheiden sind. Als er stirbt, gibt es trotzdem Streit, denn jeder Sohn will wissen, ob er den Original-Ring hat. Schließlich geht die Sache vor Gericht und dieser entscheidet, dass es Absicht des Vaters war, jeden Sohn gleich zu würdigen. So solle nun jeder der dreien der Liebe ihres Vaters nacheifern und sein Leben in Liebe, Frieden und Respekt den anderen zwei Brüdern gegenüber verbringen.
Nathan macht Leyla und Leon begreiflich, dass es mit den Weltreligionen genau so sei.
Niemand werde jemals seine Religion als die einzig wahre beurteilen können, denn jede Religion entsprang der Geschichte, die wiederum von den Vorvätern weiter vererbt wurde. Alle Religionen seien miteinander verbunden und verwandt und es sei ein unmögliches, sie auseinander dividieren zu können. Leyla und ihr Bruder sind tief berührt von der Geschichte. Vor allem Leyla erkennt, dass ihre Vorurteile gegenüber Nathan nicht gerechtfertigt sind und sie beschließt, Nathan als Mediator einzusetzen.
Nathan macht sich Sorgen um Recha, da er sieht, dass sie sich in Manuel verliebt hat, von dessen Herkunft er nichts weiß. Niko und Daja jedoch erinnern ihn daran, dass auch über Rechas Herkunft nichts bekannt ist. Daja erinnert sich, dass sie Rechas Mutter hochschwanger auf der Reise nach Israel im Zug kennenlernte. Diese schien unter einem Schock zu stehen, hatte keinen Pass dabei. Doch dann brachte sie Recha zur Welt und starb kurz darauf. Daja hatte sich gewundert, weil sie ein Mädchen zur Welt gebracht hatte, jedoch ihre letzten Worte "mein Sohn" waren.
Als Nathan mit Recha und Daja zu Leyla kommt, hat diese große Neuigkeiten über Manuel, der mit Niko da ist:
Durch den DNA-Test wurde bestätigt, was Leyla und Leon geahnt hatten: Er ist der Sohn ihrer Schwester Samra, ihr Neffe. Manuel kann das im ersten Moment überhaupt noch nicht glauben und fragt nach einem weiteren Beweis. Leon sagt ihm, dass jeder von ihnen ein Muttermal am Schlüssel- bein habe, das die Form einer Niere habe. Als Manuel dieses Muttermal ebenfalls aufweist, gibt es keine Zweifel mehr über seine Herkunft. Doch Recha tritt nun dazu und sagt ihnen, dass sie dasselbe Muttermal an derselben Stelle habe.
Leyla hatte zuvor Nachforschungen angestellt und heraus-gefunden, dass Manuels Vater ein Journalist war, der mit Samra nach Deutschland gezogen war. Er wurde durch ein Bombenattentat in seinem Haus getötet, in dem außer ihm nur noch sein Sohn Manuel war, der noch ein kleines Kind von 2 Jahren war. Manuel musste unbemerkt im Schreck hinausgelaufen sein und später von jemandem gefunden worden sein. Samra, die zu dieser Zeit nicht im Hause war, hatte man gesagt, dass auch ihr Sohn ums Leben gekommen war. Im Schock wollte sie nach Hause zu ihrer Familie in Israel, setzte sich in den ersten Zug und den Rest der Geschichte hatte Daja erzählt.
Alle erkennen, dass sie mit allen drei Weltreligionen verbunden und nicht zu trennen sind. Und sie haben gelernt, dass nur Respekt und Vertrauen und der unbedingte Wille zum Frieden die Lösung für alle Probleme sind.
Der Bezug des Stückes zur heutigen Zeit:
Wir leben in ganz besonderen Zeiten, die wir inzwischen als Zäsur akzeptieren müssen. Nichts wird wieder so sein, wie es noch vor 2 Jahren war. Wir sind nach und nach gezwungen, unsere bisherigen Wertvorstellungen einem schmerzlichen Lernprozeß zu unterwerfen und im ein oder anderen Fall durch völlig neue Perspektiven zu ersetzen. Neuanfänge sind fast an der Tagesordnung - ob im menschlichen, ethnischen, politischen oder beruflichen Kontext.
Wieso also ein Theaterstück interpretieren, das vor 250 Jahren geschrieben wurde? Wir haben heute wahrhaftig andere Themen, die uns beschäftigen müssen- oder nicht?
"Nathan der Weise" ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Theaterstück der Aufklärung! Gotthold Ephraim Lessing, in einem streng-lutheranischen Elternhaus aufgewachsen, war Zeit seines Lebens ein Freigeist. Der Gedanke an Freiheit zieht sich wie ein roter Faden durch sein ganzes Leben! Die Freiheit verschiedener Lebensentwürfe und Weltanschauungen sah er als natürliches Vorrecht eines jeden Menschenan - für die damalige Zeit eine ungeheuerliche Vorstellung!
Dieses Theaterstück gilt als erstes weltanschauliches Ideen-Drama. Im Original geht es um den Kampf der Religionen in Zeiten der Kreuzzüge, um die Vorurteile gegenüber Fremdem, um die Überforderung der Menschen durch das Neue und um das Chaos inmitten eines großen Umbruchs. Streichen wir nun das Wort "Kreuzzüge" in diesem Satz, könnte damit unsere Zeit - 250 Jahre später - haargenau beschrieben sein!
Der Kern dieser Geschichte ist zeitlos: Das Überwinden von Vorurteilen und das Erkennen, dass wir alle untrennbar miteinander verbunden sind, egal aus welchen Lebensumständen wir kommen. Sind wir heute äußerlich auf einem unglaublich hohen technischen Niveau angelangt, scheinen uns jedoch auf der Gefühlsebene immer noch dieselben Dinge umzutreiben. Immer noch braucht es offensichtlich Menschen, die über den Tellerrand hinaussehen und uns Andere dann dazu bringen können, ebenfalls die Perspektive zu wechseln.
Nathan der Weise ist so eine Person! Heute sehen wir nun die moderne Version dieses Theaters.
Warum der Titel "Das Goldene Tor"?
Das Goldene Tor ist eines der acht Tore in der Altstadt Jerusalems.
Es ist das einzige Tor in der Stadtmauer, das direkt zum Tempelberg führt. Der Tempelberg wiederum ist eine Anhöhe in Jerusalem, auf der seit dem 7.Jahrhundert der Felsendom steht, ein heiliger Ort für Juden, Christen und Muslime gleichermaßen. Das Tor wurde jedoch bereits im 12.Jahrhundert wieder zugemauert, um den Ungläubigen jener Zeit den Zugang zu versperren.
Ein Anbau, der mit diesem Tor verbunden ist und der als Gebetsstätte für alle drei Religionen gilt, wurde 2019 gesperrt, weil es wiederholt gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen gab. Daraufhin protestierte eine muslimisch jordanische Stiftung, die für die Heiligen Stätten am Tempelberg zu- ständig ist. Eins führte zum Anderen und bis heute gibt es auch hier keine Lösung und es wird weiter gestritten.
Die Autorin empfand diesen - im wahrsten Sinne des Wortes - "Streit um das goldene Kalb" als Gleichnis für die Sinnlosigkeit des Religionskampfes an sich und damit als passenden Titel für dieses Theaterstück.