Schildkröte zieht in den Krieg
von Gerd Knappe
SCHILDKRÖTE ZIEHT IN DEN KRIEG ist ein Monolog, die neue Geschichte der Geschichtenerzählerin Schildkröte, der keiner mehr zuhören wollte, bevor sie sich aufmachte, sich einen Feind zu suchen und als Kriegerin neues Ansehen zu gewinnen. Ihr Plan gelingt, sie hat wieder etwas zu erzählen und bekommt Zuhörer für die Geschichten, von den neuen Freunden, die alle auf der Strecke bleiben, von dem Mord am Ufer und der Verfolgung durch die Menschen, denen sie schließlich entkommt.
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Das waren noch Zeiten. Als ich die Erde noch auf meinem Rücken trug, hatte jeder eine Achtung vor mir. Ich war unter die Weisen aufgenommen. Mein Rat war angesehen. Die Geschichten, die ich abends unter die Menschen brachte, gingen am nächsten Morgen von Mund zu Mund.
Schildkröte zieht in den Krieg
gehört zur Stücksammlung PTE – HO – I – YA - PI nach Mythen der Ebenen (Sioux).
Im Zusammenspiel reagieren die verschiedenen Wesenheiten untereinander, aufeinander, miteinander. Mensch und Tier machen Erfahrungen aneinander. Ihr Bezugssystem verändert sich, wie einer den anderen sieht, was einer vom anderen hält, wie einer auf den anderen reagiert, wie einer mit dem anderen auskommt, was einer vom anderen braucht.
razzoPENuto präsentiert hieraus drei Geschichten aus dem sogenannten Tierkreis:
Und zwei Geschichten aus dem sogenannten Menschenkreis:
Jede Dramatisierung steht für sich, kann aber auch im Zusammenhang, in der Montage mit anderen Stücken der Sammlung gespielt werden. Es entstehen aus mehreren, andere, nicht geschriebene Geschichten, Sichtweisen der Phantasie.
Theaterpädagogische Perspektive:
Schildkröte zieht in den Krieg
Dieser Monolog von Gerd Knappe, eingebettet in Mythen der Ebenen, bietet eine fesselnde und nachdenklich stimmende Grundlage für theaterpädagogische Arbeit. Die Figur der Schildkröte, die aus Not und dem Wunsch nach Anerkennung in den Krieg zieht, berührt universelle Themen und ermöglicht eine vielschichtige Auseinandersetzung.
Themen
Das Stück beleuchtet eine Reihe tiefsinniger Themen, die besonders relevant für Jugendliche sind:
- Anerkennung und Geltungsbedürfnis: Die zentrale Motivation der Schildkröte ist der Verlust ihres Ansehens und der Wunsch, durch neue Heldentaten wieder gehört zu werden. Dies ist ein universelles menschliches Bedürfnis, das viele Jugendliche nachvollziehen können.
- Die Spirale der Gewalt/Der Reiz des Krieges: Die Schildkröte entdeckt, dass der Krieg ihr scheinbar neue Geschichten und Zuhörer verschafft, die sie aber letztlich in Isolation und Verfolgung treiben. Das Stück hinterfragt, ob "Heldentum" im Krieg wirklich erstrebenswert ist.
- Einsamkeit und Verlust: Die neuen Freunde bleiben "auf der Strecke", was die Schattenseiten des Krieges und die daraus resultierende Einsamkeit beleuchtet.
- Geschichtenerzählen und Wahrheit: Die Schildkröte sucht neue Geschichten, doch die Wahrheit über ihre Erlebnisse ist brutal und letztlich zerstörerisch für ihre Beziehungen. Es geht um die Macht von Erzählungen und die Frage, was wir erzählen und warum.
- Natur- und Mensch-Tier-Beziehung: Die Verankerung in den Mythen der Ebenen und die Interaktion von Mensch und Tier thematisiert die Veränderung von Bezugssystemen und wie verschiedene Wesenheiten aufeinander reagieren. Die Schildkröte muss sich auch mit der Verfolgung durch Menschen auseinandersetzen.
- Identität und Transformation: Die Schildkröte wandelt sich von einer weisen Geschichtenerzählerin zu einer Kriegerin und muss letztlich ihren Platz in der Welt neu definieren.
Spielanreize
Obwohl es sich um einen Monolog handelt, bietet "Schildkröte zieht in den Krieg" reiche Möglichkeiten für szenisches Spiel und kreative Umsetzung:
- Monologische Herausforderung: Für den Spieler oder die Spielerin ist es eine intensive Arbeit an der inneren Haltung, der Sprachgestaltung (Rhythmus, Klangfarbe, Pausen) und dem Aufbau der Spannung über die gesamte Aufführung.
- Körperlicher Ausdruck: Die Schildkröte als Figur (ihre Langsamkeit, ihre Panzerung, ihre plötzliche Notwendigkeit zur Flucht) kann durch Körpersprache eindrucksvoll dargestellt werden. Auch die Kämpfe und Verfolgungen können physisch angedeutet werden.
- Imagination und Verwandlung: Da die Geschichte stark vom Erzählen lebt, kann der Darsteller oder die Darstellerin andere Figuren, Orte und Ereignisse nur durch Sprache, Haltung und minimale Requisiten imaginativ entstehen lassen.
- Einsatz von Sound und Licht: Akustische Elemente (Geräusche des Krieges, Naturlaute, Musik) und Lichtstimmungen können die verschiedenen Stationen der Reise der Schildkröte und ihre emotionale Entwicklung untermauern.
- Brechung des Monologs: Man könnte die Schildkröte in einen Dialog mit dem Publikum treten lassen oder Erzähler-Figuren oder Chor integrieren, die ihre Geschichte kommentieren oder die Reaktionen der "Zuhörer" darstellen, die sie sich so sehr wünscht.
- Mythische Elemente: Die Herkunft aus den Mythen der Ebenen erlaubt den Einsatz von symbolischen Requisiten, Masken oder traditionellen Erzählformen (z.B. Trommeln, rituelle Bewegungen).
Zielgruppenansprache
Das Stück ist besonders geeignet für:
- Oberstufe (ab 15 Jahren) und junge Erwachsene: Die komplexen Themen von Krieg, Anerkennung, Verlust und die intensive monologische Form erfordern ein gewisses Maß an Reife und Auseinandersetzungsbereitschaft.
- Ensembles, die sich mit gesellschaftlich relevanten Themen befassen wollen: Es bietet eine gute Grundlage, um über Krieg, seine Faszination und seine Konsequenzen zu diskutieren.
- Solokünstler:innen oder kleine Gruppen, die ein intensives Kammerspiel entwickeln möchten: Der Fokus auf die eine Figur ermöglicht eine tiefgehende Charakterstudie.
Umsetzungsideen
- Reduziertes Bühnenbild: Ein minimalistischer Raum, der durch Licht, Schatten und wenige symbolische Requisiten (z.B. ein alter Schemel, ein paar Steine, die an die Erde erinnern, die sie trug) die verschiedenen Orte der Reise suggeriert.
- Ein Spieler, viele Stimmen: Auch wenn es ein Monolog ist, kann der Darsteller oder die Darstellerin durch Stimmvariationen und körperliche Anpassung die anderen Figuren (Feinde, Freunde, Verfolger) andeuten.
- Interaktion mit projizierten Bildern/Videos: Naturaufnahmen, stilisiertes Kriegsgeschehen oder symbolische Darstellungen könnten die Erzählung visuell ergänzen und die Imagination des Publikums anregen.
- Soundscape als Erzähler: Die Geräuschkulisse (Wind, Kampfgetümmel, Schritte, Tierlaute) könnte fast eine eigene Rolle einnehmen und die Schildkröte auf ihrer Reise begleiten.
- Diskussionsforum nach der Aufführung: Die Themen des Stücks eignen sich hervorragend für eine anschließende Nachbereitung mit dem Publikum, um über Krieg, die Rolle von Geschichten und die Suche nach Anerkennung zu sprechen.
Rollenarbeit
Die Arbeit an der Rolle der Schildkröte erfordert von dem Spieler oder der Spielerin:
- Empathie für die Figur: Die Fähigkeit, die Verzweiflung, den Geltungsdrang, die Angst und den Verlust der Schildkröte nachzuempfinden und darzustellen.
- Physische Verwandlung: Das Arbeiten an der Haltung und Bewegung einer Schildkröte, die sowohl Stärke (Panzer) als auch Verletzlichkeit (Rücken) und Trägheit, aber auch plötzliche Agilität im Angesicht der Gefahr aufweist.
- Stimmliche Nuancierung: Die Fähigkeit, die Stimme der Schildkröte von der weisen Geschichtenerzählerin zu einer verzweifelten Flüchtenden zu modulieren. Der Kontrast zwischen der anfänglichen Sehnsucht nach "alten Zeiten" und der brutalen Realität des Krieges muss stimmlich erfahrbar gemacht werden.
- Umgang mit Monolog: Techniken des Monologisierens, wie das Sprechen zum Publikum, das Sprechen zu imaginären Figuren oder das Reflektieren in sich selbst, müssen erarbeitet werden.
- Erzählerische Fähigkeiten: Die Rolle erfordert nicht nur das Spielen, sondern auch das glaubwürdige Erzählen einer Geschichte, die die Zuhörer fesseln soll.
"Schildkröte zieht in den Krieg" ist ein starkes Stück, das eine einzigartige Möglichkeit bietet, sich auf der Bühne mit zeitlosen und kritischen Themen auseinanderzusetzen.