Somoer
Ein Spiel ums Sehen Sagen Sein - von Gerd Knappe.
Zwei kommen aus dem tiefen Schwarz und sind auf der Suche nach dem Anfang.
Aller Anfang ist schwer, doch ohne ihn gibt es keine Geschichte. Was also anfangen? Zunächst brauchen sie Licht. Wo kommt es her? Kann man es berühren? Wo Licht ist, ist auch Schatten. Aus Licht und Schatten, Hell und Dunkel entsteht ein Labyrinth, in dem sich die Zwei verirren, suchen, sehen, finden, fassen, entdecken und immer wieder begegnen.
Sie hören sich und sie hören die Worte. Woher kommen Worte? Wo fallen sie hin? Kann man Worte anfassen oder sogar festhalten? Beleuchten kann man sie. Und vielleicht entsteht eine Geschichte, leise und sacht, über zwei Wesen, über Mutter und Vater, Frau und Mann, Schwester und Bruder, über Sonne und Mond und Erde - SOMOER gesponnen aus Lichtstimmungen.
Ein Zuschau-Zuhör-Spieltext.
SOMOER - ein Versuch vergessene Erzählweisen der Natur zu entdecken. Auf der Suche nach dem Anfang erleben NASEWEISS und SCHWARZAUGE in dem sie umfließendem Licht. Zwischen Hell und Dunkel sehen sie sich und ihr Tun auf unbekannte Weise. Ihr Wort entsteht aus der Bewegung des Spielenden im Raum. Zwischen Licht und Reflexion sehen SCHWARZAUGE und NASEWEISS Geschichten von Sonne und Mond, von der Erde aus die Trinität von Vergangenem, Momentanem, Kommendem. Spielend erinnern sie sich: Die Gegenwart hat eine lange Vergangenheit. Ein Spiel mit Wahrnehmungen. Eine kleine Meditation ums Sehen, Sagen, Sein.
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LICHTE WORTE
1 Licht das Auge des Menschen erhellt,
das er sehen kann in der Welt.
2 Sieht der Mensch Sonne und Mond an,
folgen ihre Blicke seiner Bahn.
3 Der Erdbewohner erkennt bei guter Sicht,
der Mond reflektiert der Sonne Licht.
4 Würde die Sonne am Tag nicht scheinen,
ein Mond in der Nacht nicht sein,
wäre die Erde ein dunkler Stein.
5 Das Lichtspiel hat Wortstimmungen gemacht.
Ein Mensch denkt sich ein ganz sacht.
6 Was ist, wenn die Erde zwischen beide geht
und der Mond vor der Sonne,
oder die Sonne neben dem Mond steht?
7 Die Taschenlampe leuchtet einen Spiegel an.
Wenn das Licht sich im Spiegel reflektiert,
haben wir schon was kapiert.
8 Den Mond spielt eine Frau,
die Sonne ein Mann.
Die Erde nehmen wir,
als Kind von beiden an.
9 Ist das Wort ohne Licht,
wird unsere Geschichte nicht.
10 Bringt das Licht an uns heran,
was ein Wort nicht sagen kann?
11 Lichte Worte die Planeten drehen.
Diese Geschichte erzählt wie Geschichten
aus Licht und Wort entstehen.
Theaterpädagogische Perspektive:
"SOMOER" von Gerd Knappe ist ein faszinierendes Stück, das sich als meditative, poetische und philosophische Auseinandersetzung mit Ursprung, Wahrnehmung und der Entstehung von Geschichten darstellt. Die sehr abstrakte und assoziative Natur des Textes bietet enorme Freiheiten und Herausforderungen für eine theaterpädagogische Umsetzung.
Themen
Das Stück erforscht tiefgreifende Themen:
- Ursprung und Anfang: Die zentrale Frage ist, wie alles beginnt ("Was also anfangen?"). Dies bezieht sich auf die Entstehung der Welt, des Lebens, der Geschichten und des Bewusstseins.
- Wahrnehmung und Sinnlichkeit: Es geht um das Sehen (Licht, Schatten, Labyrinth), das Hören (Worte, Klänge), das Berühren und Fassen. Das Stück lädt dazu ein, die menschlichen Sinne und ihre Rolle bei der Konstruktion von Realität zu erforschen.
- Dichotomien und deren Überwindung: Licht und Schatten, Hell und Dunkel, Mutter und Vater, Frau und Mann, Schwester und Bruder, Sonne und Mond – das Stück spielt mit Dualitäten und der Erkenntnis, dass das eine ohne das andere nicht existieren kann und dass ihre Interaktion Neues schafft.
- Die Natur der Sprache und des Erzählens: Woher kommen Worte? Können sie festgehalten werden? Das Stück beleuchtet die Flüchtigkeit und doch die enorme Kraft der Sprache, Geschichten zu formen und Bedeutung zu schaffen.
- Zeit und Erinnerung: Die Trinität von Vergangenem, Momentanem, Kommendem und die Erkenntnis, dass "Die Gegenwart hat eine lange Vergangenheit", sprechen die zyklische Natur der Zeit und die Bedeutung von Erinnerung an.
- Existenz und Sein: Letztlich ist es eine Meditation über das schiere Sein, das sich aus der Interaktion von Wahrnehmung und Erzählung speist.
Spielanreize
Die Beschreibung von "SOMOER" legt ein stark experimentelles, performatives und nonverbales Theater nahe:
- Bewegung und Raum: "Ihr Wort entsteht aus der Bewegung des Spielenden im Raum." Dies ist ein expliziter Aufruf zu Bewegungstheater und Tanz. Die Figuren Nase und Schwarzauge "verirren sich, suchen, sehen, finden, fassen, entdecken und immer wieder begegnen" sich in einem Labyrinth aus Licht und Schatten.
- Lichtdesign als Mitspieler: Licht ist nicht nur Beleuchtung, sondern ein aktiver Bestandteil der Inszenierung. Lichtstimmungen, Schattenwurf, Reflexionen erschaffen das Labyrinth und spinnen die Geschichte.
- Soundscape und Klang: Die Worte entstehen, fallen hin, können beleuchtet werden. Dies eröffnet Möglichkeiten für Klangcollagen, rhythmisches Sprechen, Stille und das Experimentieren mit der Akustik des Raumes.
- Abstraktion und Assoziation: Die Figuren sind eher archetypische Wesenheiten ("Zwei", "Naseweis", "Schwarzauge") als psychologisch ausgearbeitete Charaktere. Dies ermöglicht ein sehr freies, assoziatives Spiel.
- "Zuschau-Zuhör-Spieltext": Das Stück fordert das Publikum zur aktiven Wahrnehmung auf und lädt dazu ein, eigene Assoziationen zu bilden. Dies kann durch wiederholte Motive oder offene Enden verstärkt werden.
Zielgruppenansprache
"SOMOER" ist besonders geeignet für:
- Oberstufe (ab 16 Jahren) und junge Erwachsene: Die abstrakten, philosophischen Themen und die nicht-lineare Erzählweise erfordern ein hohes Maß an Offenheit, Abstraktionsvermögen und Bereitschaft, sich auf eine meditative Theaterform einzulassen.
- Theater-AGs und Gruppen, die experimentelles, performatives oder Tanztheater machen wollen: Für Gruppen, die weniger an einer klassischen Handlung interessiert sind, sondern an der Erforschung von Wahrnehmung, Bewegung, Licht und Klang.
- Kurse mit Schwerpunkt auf interdisziplinärem Theater: Wenn auch Elemente aus Tanz, Bildender Kunst, Sounddesign und Philosophie einbezogen werden sollen.
Umsetzungsideen
- Leerer Raum als Experimentierfeld: Ein komplett schwarzer Raum, in dem Licht die einzigen gestalterischen Elemente sind. Projektionen von Lichtmustern, Schatten von den Darstellern, gezielte Spots.
- Minimalistische Kostüme: Kleidung, die die Bewegung nicht einschränkt und die im Licht-Schatten-Spiel gut funktioniert (z.B. dunkle, neutrale Kleidung, die durch Licht akzentuiert wird).
- Sound- und Lichtinstallation: Das Stück kann als immersive Erfahrung gestaltet werden, bei der das Publikum von Licht und Klang umhüllt wird.
- Improvisation als Probenmethode: Viele Proben sollten sich um freie Improvisationen zu den Themen Licht, Schatten, Berührung, Wortklang und dem Finden von Bewegung im Raum drehen.
- Nonverbale Kommunikation: Die Beziehung der zwei Figuren entsteht stark aus ihrer physischen Interaktion, aus Berührungen, Annäherungen und Distanzierungen.
- "Living Scenery": Die Spieler selbst könnten Teile des Labyrinths bilden oder sich in fließenden Übergängen in andere Formen oder Figuren verwandeln.
- Musik als emotionale Ebene: Atmosphärische, vielleicht ambientartige Musik, die die Kontemplation unterstützt und die fließenden Übergänge zwischen den Szenen akzentuiert.
Rollenarbeit
Die Arbeit an den Rollen von Naseweis und Schwarzauge erfordert von den Spieler:innen:
- Körperbewusstsein und Bewegungstalent: Die Rollen sind stark körperlich, die Bewegungen im Raum sind essenziell für die Erzählung. Die Spieler:innen müssen lernen, sich in einem Labyrinth aus Licht und Schatten zu orientieren und auszudrücken.
- Auseinandersetzung mit den Sinnen: Spielerische Erforschung von Sehen, Hören, Berühren. Wie wirkt das Fehlen eines Sinnes? Wie beeinflusst das Licht die Wahrnehmung?
- Umgang mit Abstraktion: Die Spieler:innen verkörpern keine Charaktere im klassischen Sinne, sondern Prinzipien, Fragen oder archetypische Aspekte (Anfang, Ende, Suche, Begegnung).
- Zusammenspiel und nonverbale Kommunikation: Die Beziehung zwischen den zwei Figuren ist entscheidend und entsteht fast ausschließlich über körperliche und stimmliche Resonanz.
- Stimme als Instrument: Die Worte müssen nicht nur gesprochen, sondern als Klang, als Atem, als Impuls verstanden werden. Das Experimentieren mit Lautstärke, Tempo und Artikulation ist hier zentral.
- Bereitschaft zur Meditation: Die Spieler:innen müssen sich auf die langsame, kontemplative und meditative Atmosphäre des Stücks einlassen können.
"SOMOER" klingt nach einer außergewöhnlichen und künstlerisch anspruchsvollen Herausforderung, die ein Ensemble dazu einladen würde, die Grenzen des Theaters zu erkunden und eine einzigartige, sinnliche Erfahrung zu schaffen.