Jugendtheater & Klassiker

Charaktere: 9 | 7m, 2w, + Chor

Besetzung: 9 Darsteller | Variationen möglich

Spieldauer: 80

Spielalter: Erwachsene, Jugendliche

Publikum: Ab 12

Szenen/Akt: 8

Bilder: 6

Tarif: 4

Mindestgebühr/Auff.: 60,00 EUR

Bernsteinzimmer

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Bernsteinzimmer

Pech und andere Schicksale von Volker Lüdecke

Irgendwo im Nirgendwo spielt das groteske Stationendrama Bernsteinzimmer, dessen Protagonisten hauptsächlich Heranwachsende sind, die normalerweise nur dann von der Gesellschaft wahrgenommen werden, wenn etwas Schlimmes passiert.

Ob es jugendlicher Leichtsinn für den Adrenalinkick oder ein bewusstes Spiel mit dem tödlichen Risiko ist, spielt am Anfang von „Bernsteinzimmer“ keine Rolle. Zwei von dreien haben es geschafft, sind in einer Autobahnkurve über die Fahrbahnen gerannt und genießen an der Autobahnböschung diesen Augenblick ihres Triumphs wie einen kostenlosen Drogenrausch.

Der Dritte kommt jedoch nur noch in Form von abgerissenen Körperteilen dort an, hat bei ihrer Wette sein Leben verloren, wofür man seinen Kumpel verantwortlich macht. Sowohl die Familie als auch die Justiz meinen, in ihm den Schuldigen gefunden zu haben, obwohl eine innere Leere der in ländlichem Gebiet lebenden Heranwachsenden beinahe eine ganze Generation ergriffen hat. Was der Beschuldigte durch sein spontan vorgeschobenes Bekenntnis, nur das verschollene Bernsteinzimmer gesucht zu haben, unterstreicht. Die Gesellschaft bietet den Heranwachsenden vor allem eines: Unübersichtlichkeit, unklare Strukturen und eine Politik, die sie bei den Arbeitsplätzen scheinbar vergessen hat.

In dieses Vakuum pflanzt der Protagonist fortan beharrlich seine absurde Schutzbehauptung und individuelle Sinnstiftung, dass er das Bernsteinzimmer suche. Eine Behauptung zur Selbstbehauptung gegenüber einer Gesellschaft, in der er ansonsten die Stellung eines Überflüssigen und Bedeutungslosen inne hätte.

Obwohl es in ihren Kreisen zum „Autobahnjumpen“ viele Alternativen gibt, sein Leben auf´s Spiel zu setzen, wie billige Drogen, Autorennen oder Zugsurfen, wandert der Held der Geschichte als Schuldiger in den Knast. Wo er sich aufgrund der für ihn klaren Strukturen sogar wohlfühlt, denn erst als er in einem Resozialisierungsprojekt landet, beginnt er zu rebellieren.

Sein Zorn richtet sich gegen den Projektleiter, der eine Gruppe von Strafgefangenen in fernöstliche Kampfsporttechnik einweist, um ihren Geist in harmonische Bahnen zu lenken. Doch als der Trainer ihn als Sparringspartner vor versammelter Belegschaft brutal auf die Matte klatscht, kommen seine Streetfighting-Qualitäten zum Einsatz. In der Folge istaus Versehen als zweites Opfer der Trainer tot, was ihn fortan zum gesuchten Serientäter macht.

Zusammen mit einer jungen Frau, die das Kampfspektakel mit ihren steilen Sprüchen angeheizt hatte, flieht er aus der sozialen Einrichtung. Uwe Sollner und Josefine Feldmann fühlen sich auf ihrer Flucht wie Mickey und Mallory in „Natural Born Killers“, doch die ironische Brechung folgt sogleich: Josefine werden die Strapazen unterwegs ohne Auto zu anstrengend, außerdem vermisst sie ihren Drogenkonsum.

Auch bei diesem Vorgang wird deutlich, wie sehr die Heranwachsenden noch auf der Suche nach sich selbst sind. Sie benötigen eine „Second-Hand-Identität“, um sich daran aufrichten zu können.

Als Josefine Feldmann aussteigt, um bei ihrem Dealer unterzukriechen, verspricht ihr Sollner, in Zukunft für sie zu sorgen. Wenn er sie in ein paar Monaten wiedertrifft, will er ihr mehr bieten können, und das möchte er durch den lukrativen Job des Leichenwaschens erreichen.

Um solch einen Job zu bekommen, übernachtet er auf einem Friedhof, um am nächsten Morgen herauszufinden, woher die Bestattungen kämen. In einem Mumienschlafsack auf dem alten jüdischen Teil desselben nächtigend, wird er von zwei Neonazis, die Gräber mit Hakenkreuzen schänden wollen und dabei von einer politischen Karriere träumen, aufgestöbert und bedroht. Erneut kommen versehentlich zwei ums Leben, deren Tod Sollner nicht beabsichtigt hatte.

Nun sind es schon vier, die er auf dem Gewissen hat, doch der zuständige Dorfpolizist zeigt eine väterlich fürsorgliche Haltung, zumal er froh ist, die beiden Neonazis los zu sein. Als sein Verhörpartner ihm beichtet, er habe in seinem Dorf das Bernsteinzimmer entdeckt, lässt er sich sogar einen Moment lang für die Schatzsuche begeistern, doch bald lacht er als alter Menschenkenner über das Ansinnen seines Gefangenen und erkennt ihn als das, was er ist: einen unvollständigen jungen Menschen, dessen Not darin besteht, nur dann ernst genommen zu werden, wenn er etwas vorweisen kann. Egal, wie absurd es sein mag.

Gutmütig erkennt er Sollners Notwehrsituation an und fördert als Vertreter einer fürsorglichen Gesellschaft seine Ausbildung beim Bestatter. Sollner kann einige Monate später seiner Geliebten zeigen, dass er tatsächlich etwas geschafft hat.

Bei ihrem Treffen deutet Josefine an, dass sie schwanger von ihm ist, was er, ganz und gar naiv, gar nicht mitbekommt.Worauf sie ihm eine mitgebrachte Waffe gibt, er solle sie töten. Sie würde es eh nicht schaffen, sich von ihrem Drogenkonsum zu lösen, außerdem habe sie die Polizei im Schlepptau, sie wären bereits umstellt.

Der einzige aufrechte Ausweg für sie sei der Freitod, und auf einmal erscheinen rote Laserpunkte auf den Körpern der jungen Familie in spe. In diesem entscheidenden Moment hilft wieder das Bernsteinzimmer mit seiner leuchtend abwesenden Präsenz den jungen Outlaws aus der Patsche.

Sollner ruft laut, dass er das Bernsteinzimmer gefunden habe, und dass es für immer verloren sei, wenn man ihn und seine Freundin erschieße. Am Ende zeigt sich die Staatsgewalt als anonyme „Lasermacht“, weder verzeihend noch strafend. Eher wie eine Maschine, die nur funktioniert, wenn etwas geschieht, worauf sie auch programmiert ist. Tritt etwas Unvorhergesehenes ein, zieht sie sich zurück.

Eine letzte Chance für die zukünftigen Eltern Josefine Feldmann und Uwe Sollner, ihre jungen Leben in glücklichere Bahnen zu lenken.